Wissenschaftler der Hochschule Niederrhein lassen keinen Zweifel: Kita-Finanzierung wird dem Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag nicht mehr gerecht
„In dem bestehenden System der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen in NRW kann die aus fachwissenschaftlicher Sicht notwendige Qualität der Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder nicht erreicht werden.” Zu dieser ebenso nüchternen wie alarmierenden Einschätzung kommt ein wissenschaftliches Team der Hochschule Niederrhein Fachbereich Sozialwesen in einem Gutachten „Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen” in Nordrhein-Westfalen. Diese Studie nahm am Dienstag (15. November) Geschäftsführer Jürgen Otto für den Auftraggeber, die Arbeiterwohlfahrt NRW, in Düsseldorf offiziell entgegen.
„Die Ergebnisse werden uns, sicherlich aber auch die gesamte nordrheinwestfälische Politik in den kommenden Monaten intensiv beschäftigen. Denn es werden die Befürchtungen untermauert, die uns ebenso wie die anderen Kita-Träger seit Jahren umtreiben”, sagte Jürgen Otto.
Die Ergebnisse des Gutachtens sind für die Hochschule Niederrhein auch in der Lehre von großer Relevanz. Sie unterstreichen einerseits den steigenden Bedarf an gut ausgebildeten pädagogischen Fachkräften. Andererseits wird der Bedarf einer praxisnahen, qualitativ hochwertigen hochschulischen, einschlägigen Ausbildung in den Wissensgebieten ‘Kindheitspädagogik‘, 'Qualitätsmanagement' und 'Wirtschaftlichkeitsrechnung' deutlich. Das gilt insbesondere in der besonderen Qualifizierung von angehenden Fachberater*innen und Leitungskräften. Hier zeigt sich explizit die Notwendigkeit für die Landesregierung, die Akademisierung im Handlungsfeld weiter voranzutreiben und für die Hochschulen, sich in der Aus- und Weiterbildung mehr zu engagieren.
Die Hochschule hat unter der Federführung von Prof. Dr. Christina Jasmund (Kompetenzzentrum Kindheitspädagogik in Bewegung) und Prof. Dr. Werner Heister (SO.CON-Institut) die notwendige personelle, finanzielle und räumliche Ausstattung der NRW-Kindertagesstätten unter pädagogischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten ebenso eingehend wie kritisch betrachtet. Die Studie kommt zu einem klaren Ergebnis: Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen dürften nicht länger auf den eingefahrenen Gleisen bleiben, es seien „wesentliche, meilensteinbildende Veränderungen notwendig”. Und dazu brauche es insbesondere eine andere und deutlich bessere finanzielle Ausstattung. Allein die AWO betreibt in Nordrhein-Westfalen gegenwärtig mehr als 700 Kitas, weitere 8.700 werden von anderen Anbietern getragen.
In ihren Empfehlungen kommt die Studie insbesondere zu folgenden Ergebnissen:
- Es müssen unbedingt mehr Mittel bereitgestellt werden, um die für Kinder in den sehr wichtigen ersten sechs Entwicklungsjahren dringend erforderliche, qualitativ hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung anbieten zu können. Dabei sind Zeitkontingente für die direkte pädagogische Arbeit und die mittelbare pädagogische Arbeit vorzusehen sowie eine dem Alter und der Lebenssituation des Kindes entsprechende Fachkraft-Kind-Relation.
- Leitung und Fachberatung müssen stärker festgelegt institutionalisiert werden. Angemessene Leitungs- und Beratungsspannen und Ressourcen für deren Freistellung müssen erreicht werden.
- Es wird empfohlen, von dem bisherigen Finanzierungssystem abzurücken und zukünftig die Betätigungen der Leistungserbringer als Dienstleistungen anzusehen. Berechtigterweise würde in einem neuen System ein Trägeranteil komplett entfallen. Die Leistungen sind in eine Grundfinanzierung (z.B. Leitung, pädagogische Voraussetzungen, Betrieb, Küche, Immobilie) und weitere zu unterscheiden. Hinzu käme eine belegungsabhängige Komponente für spezielle Förderbedarfe und Aspekte, die einrichtungsspezifisch zu behandeln sind. Weiterhin ist die Vorhaltung von Plätzen zu finanzieren oder in den vorgenannten Bestandteilen enthalten.
- Aspekte der Instandhaltung oder gar Erweiterung sollten vom Betrieb getrennt werden. Die derzeitige Vermischung ist unpassend, auch hinsichtlich des bereits bestehenden und weiteren anwachsenden Sanierungsstaus.
- Neben der dazu notwendigen, höheren Zahl an Personalkräften sind zahlreiche weitere Aspekte im Personalbereich kostenrelevant und aus betriebswirtschaftlicher Sicht selbstverständlich durch die Leistungszahler zu entgelten: Kosten der Fort- und Weiterbildung, Ausfallzeiten, Höhergruppierungen, Stufenaufstiege und andere Personalkosten, Personalnebenkosten und indirekte Personalkosten.
- Das derzeitige, betriebswirtschaftlich unzureichende System der Berücksichtigung des Werteverzehrs sollte insbesondere beim Anlagevermögen durch Abschreibungen ersetzt werden.
- Anfallende Mietkosten – auch kalkulatorische – sind in angemessener Höhe zu berücksichtigen.
- Alle durch die Kindertageseinrichtung und deren Betrieb verursachten angemessenen sonstigen Sachkosten, soweit sie angemessen sind, sind in voller Höhe zu entgelten. Sachkostensteigerungen sind zu berücksichtigen.
- Alle durch die Kindertageseinrichtung und deren Betrieb verursachten angemessenen Verwaltungskosten sind verursachungsgerecht anzuerkennen, auch die Overhead-Kosten des Trägers.
- Alle anfallenden Selbstkosten, soweit sie angemessen, marktkonform etc. sind, sind zu entgelten. Alle Kostensteigerungen müssen zeitnah berücksichtigt und abgegolten werden. Nur so kann ein Substanzabbau beim Träger verhindert werden.
Dass sich die Kita-Finanzierung insgesamt in eine Sackgasse bewege, könne die Arbeiterwohlfahrt NRW schon heute an der personelle Entwicklung absehen: „Weil wir keine ausreichende Refinanzierung haben oder schon von der Substanz leben, können wir im Erziehungsbereich längst keine marktgerechten Löhne und Gehälter mehr bezahlen. Es wird deshalb immer schwieriger, in manchen Regionen bereits unmöglich, überhaupt noch qualifizierte Mitarbeiter*innen zu finden”, so Jürgen Otto. Aus Sicht der Verbände sei längst dringender Handlungsbedarf gegeben, um die mittel- und langfristige Versorgungssicherheit gewährleisten und das politische Versprechen auf eine zeitgemäße Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder gewährleisten zu können.
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